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3. Wissenschaftliche Literaturarbeit

Übersicht:

  1. Relevanz klären
  2. Kritisches Lesen
  3. Aufbereitung des Gelesenen

Nachdem Sie das einschlägige Material zu einem bestimmten Thema ausfindig gemacht haben, müssen Sie es im Hinblick auf Ihre Fragestellung auswerten, bewerten und aufbereiten. Das Ziel der Lektüre wissenschaftlicher Texte besteht erstens darin, einen Überblick über den Forschungsstand bzw. die Entwicklung der Forschung zu einem Thema zu gewinnen. Zweitens werten Sie die vorhandene Literatur aus, um Sachinformationen über Ihren Untersuchungsgegenstand zu erhalten; dabei kann es sich beispielsweise um die Datierung eines Ereignisses, eine statistische Angabe oder Informationen über historische Ereignisabläufe handeln. Drittens schließlich gewinnen Sie aus der Literatur historische Urteile: Thesen und Antworten, die andere Sinologen im Hinblick auf komplexe Fragestellungen gegeben haben. Diese können entweder in Ihrer Arbeit übernommen oder zum Ausgangspunkt Ihrer Fragestellung gemacht werden, indem sie überprüft, modifiziert, widerlegt oder bestätigt werden. Das Lesen wissenschaftlicher Texte (Informationsbeschaffung) ist eine Kunst für sich, die mit der kontemplativen Lektüre von Belletristik nichts gemein hat. Wissenschaftliches Lesen bedeutet nicht passive Rezeption des Geschriebenen, sondern einen aktiven geistigen Vorgang, bei dem der Leser in einem permanenten Dialog mit der Verfasser steht. Daher ist diese Form des Lesens mit viel Mühe und einem beträchtlichen Zeitaufwand verbunden.

1. Relevanz klären

Deshalb, aber auch aufgrund der großen Menge an Literaturtiteln, die Sie zu den meisten Themen finden können, sollten Sie nicht planlos mit dem Lesen des erst besten Buches beginnen, das Ihnen in die Hände fällt. Zunächst müssen Sie klären, ob ein Text für die Beantwortung Ihrer Fragestellung überhaupt relevant ist. Dazu führen Sie folgende Arbeitsschritte aus:
  • Titel und Untertitel des Buches geben nicht nur Auskunft über das Thema, sondern unter Umständen auch über seine Kernthese.
  • Aus dem Impressum erfahren Sie, wann, wo und ggf. in welcher Reihe ein Buch erschienen ist. Erscheinungsjahr und Auflage signalisieren seine Aktualität.
  • Das Inhaltsverzeichnis gibt über Aufbau und Inhalt des Buches Auskunft. Nach der Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses ist in der Regel klar, ob das Buch für Sie thematisch relevant ist oder nicht.
  • Die Materialbasis können Sie anhand des Quellen- und Literaturverzeichnisses prüfen; so erfahren Sie, ob der Autor etwa neue Quellen heranziehen konnte, was ihm unter Umständen ganz neue Ergebnisse ermöglichte.
  • Im Vorwort erfahren Sie, um welche Art von Arbeit es sich handelt (beispielsweise eine Dissertation und Habilitationsschrift) und in welchem Umfeld sie entstanden ist. Aufgrund dieser Informationen lässt sie sich in der Forschungslandschaft verorten.
  • Die Einleitung erschließt Ihnen die Fragestellung und das Erkenntnisinteresse des Autors, seinen methodischen Zugriff und seine Lösungsstrategien.
  • Die Zusammenfassung bilanziert die Ergebnisse der Arbeit, benennt ggf. Lücken und regt damit zu weiterer Forschung an.
  • Sollte sich bei dieser Prüfung herausstellen, dass ein Buch nur in Teilen für Sie relevant ist, bieten Ihnen das Inhaltsverzeichnis und das Register (Personen-, Orts und Sachregister) die Möglichkeit, die benötigten Informationen bzw. relevanten Textpassagen rasch aufzufinden. Vor allem bei umfangreichen Arbeiten, die Ihr Thema nur am Rande streifen, ist eine selektive Auswertung angezeigt. Allerdings kann es auch gefährlich sein, Literatur gewissermaßen als Steinbruch zu verwenden, da einzelne Aussagen so aus dem Zusammenhang gerissen werden. Man sollte daher wenigsten auch Einleitung und Zusammenfassung lesen, um die relevanten Passagen in die Argumentation des Autors einordnen zu können.

2. Kritisches Lesen

Wie lese ich einen wissenschaftlichen Text? Von zentraler Bedeutung ist es, sich beim Lesen stets die eigene Fragestellung vor Augen zu halten: Sie müssen den vorliegenden Text im Hinblick auf die eigene Fragestellung "abklopfen", also selbst Fragen an den Text stellen. Dabei geht es keineswegs darum, den Inhalt des Textes kritiklos aufzunehmen; vielmehr müssen Sie sich – unter Wahrung größtmöglicher Objektivität – bemühen, den Text kritisch (also bewertend) zu lesen. Achten Sie dabei auf folgende Punkte:
  • Bleibt der Autor des Textes bei seiner in der Einleitung formulierten Fragestellung oder weicht er vom Thema ab?
  • Ist der methodische Ansatz des Autors zur Beantwortung seiner Fragestellung geeignet?
  • Welche Quellen zieht der Autor zur Beantwortung seiner Frage(n) heran? Hat er möglicherweise wichtige Quellen übersehen?
  • Welche Thesen (Behauptungen, Schlussfolgerungen) stellt der Autor auf? Und was ist an diesen Thesen neu, wo reichen sie über den bisherigen Forschungsstand hinaus?
  • Überzeugen die Argumente, die er für seine Thesen anführt? Lassen sich Gegenargumente ins Feld führen?
  • Gibt es Lücken oder Schwachstellen in der Argumentationskette des Autors?
  • Wie ordnet der Autor seine Ergebnisse in größere Zusammenhänge ein?
  • Was sagt der Text im Hinblick auf meine eigene Fragestellung?
Anfangs wird es Ihnen wahrscheinlich schwer fallen, alle Teile dieses Fragerasters an einen Text heranzutragen. Doch auch hier gilt: Übung macht den Meister, und mit einer gewissen Routine wird Ihnen die Textkritik leichter von der Hand gehen. Lassen Sie sich also von anfänglichen Schwierigkeiten nicht entmutigen!

Tipp:

Machen Sie ein "Brainstorming" mit Stift und Papier nachdem Sie sich in Ihr Thema eingelesen haben. Notieren Sie dabei auch Assoziationen, Gedanken undFragen, die Ihnen noch unausgereift oder gar abwegig erscheinen. Sie könnten sich später als interessante Bezugspunkte für die Diskussion Ihrer Fragestellung erweisen.

 

3. Aufbereitung des Gelesenen

Das Lesen eines Textes allein genügt allerdings nicht. In einem zweiten Arbeitsschritt müssen Sie dafür sorgen, dass Sie die angelesenen Informationen nicht wieder vergessen. Wissenschaftliches Lesen ist also untrennbar mit Schreiben verbunden. Wenn Sie eigene Bücher oder Textkopien lesen, können Sie bereits beim ersten Lesen wichtige Passagen unterstreichen und Randbemerkungen hinzufügen; das erleichtert Ihnen später die Orientierung, enthebt Sie jedoch nicht der Mühe, schriftliche Textauszüge ("Exzerpte") anzufertigen.Ein Exzerpt fasst den Inhalt eines Textes fortlaufend und knapp zusammen.

Lange Literaturauszüge sind in der Regel kein Exzerpt, sondern verschwendete Zeit! Sie müssen versuchen, die (unter Ihrer Fragestellung) wichtigen Aussagen möglichst ineigenen Worten wiederzugeben – gelingt Ihnen dies, ist das ein sicheres Indiz dafür, dass Sie den Text verstanden haben. Befolgen Sie unbedingt die Grundregeln des Exzerpierens:

  • Ziehen Sie einen dicken Trennstrich zwischen wörtlichen Zitaten, Textparaphrasen und eigenen Kommentaren. Wörtliche Zitate setzen Sie in doppelte Anführungszeichen.
  • Notieren Sie sich unbedingt die Seitenzahlen wörtlicher Zitate und Textparaphrasen; ansonsten müssen Sie später nochmals nach dem Fundort eines Zitats oder Belegs suchen!
  • Strukturieren Sie Ihr Exzerpt: Jeder gute wissenschaftliche Text folgt einer Gliederung, die aus dem Exzerpt hervorgehen muss. Auf diese Weise enthalten Ihre Notizen Informationen über Aufbau, Argumentationsgang, Thesen und Ergebnisse des Textes.
  • Behalten Sie beim Exzerpieren die Fragestellung des Autors und Ihre eigene im Blick.
  • Notieren Sie sich die Definitionen zentraler Begriffe.
  • Halten Sie Stärken und Schwächen des Textes (etwa Argumentationslücken oder innere Widersprüche) fest.
  • Notieren Sie unbedingt die vollständigen bibliografischen Angaben des Textes, ansonsten können Sie die im Exzerpt enthaltenen Informationen nicht in eigenen Arbeiten weiterverwenden.
Um das Exzerpieren von Texten, die zur Beantwortung Ihrer Fragestellung relevant sind, kommen Sie nicht herum. Für die dauerhafte Archivierung der Informationen sind Exzerpte allerdings nur bedingt geeignet, da Literaturauszüge gerade bei längeren Texten schnell unübersichtlich werden. Datenbanken sind heute das mit Abstand effizienteste Medium der Informationsverarbeitung und Archivierung: Sie tippen nichts mehr doppelt und dreifach ab, sondern kopieren vom Exzerpt direkt in die Textdatei. Wer regelmäßig in den PC exzerpiert, erhält rasch einen großen, stetig wachsenden Fundus an Informationen; wer dagegen mit der Hand exzerpiert, bleibt auf einem Berg von Papier sitzen, der mit der Zeit immer schwerer überschaubar wird. Da gute EDV-Kenntnisse heutzutage auch für Geisteswissenschaftler eine grundlegende Kulturtechnik darstellen, sollten Sie sich möglichst bald damit vertrautmachen.